Es wird keine Einigkeit darüber zu erzielen sein, was genau eine Emotion ist und was nicht. Ist Überraschung eine Emotion? Oder Verspieltheit? Immerhin ist klar: Die großen Gefühle sind Angst, Schmerz, Wut, Trauer, Liebe. Darüber hinaus gibt es viele Spielarten, Abwandlungen, gemischte Gefühle.
Was mich hier mehr interessiert, ist die Qualität von Gefühlen, ihre Beschaffenheit. Wenn man Gefühle mit Gedanken vergleicht, fällt vor allem auf: Gefühle sind besonders schnell, besonders intensiv und besonders eigenwillig.
Gefühle entstehen aus Bewertungen. Wenn Ihnen beispielsweise einfällt, dass Sie Ihren Hausschlüssel vergessen haben mitzunehmen, könnten Sie sich ärgern – falls Sie die Einstellung haben, dass ein normaler Mensch keine Schlüssel vergessen sollte. Jeder emotionalen Reaktion liegt eine Bewertung zugrunde. An Kinder kann man manchmal ganz schön beobachten, wie sie regelrecht überlegen, ob sie anlässlich eines Missgeschicks weinen oder lachen sollen.
Doch Gefühle aktivieren sich nicht bloß, wenn der Verstand eine bestimmte Bewertung abgibt. Gefühle springen assoziativ von selbst an, wenn bestimmte Wahrnehmungen gemacht werden, die uns an frühere Wahrnehmungen erinnern. Gefühle verfügen physiologisch gewissermaßen über Schnellleitungen, die sie am Verstand vorbei schleusen. Die emotionale Bewertung einer Situation kann erfolgen, bevor der Verstand kapiert hat, was los ist. Wir kennen das alle: Ein Duft oder ein Lied kann schöne Erinnerungen wachrufen und schon schweben wir auf einer Wolke des Entzückens. Heinrich Heines Loreley ist ein klassisches Beispiel:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin,
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Natürlich beruhen die ursprünglichen emotionalen Erfahrungen ebenfalls auf Bewertungen, aber die Wege der Erinnerung sind verwinkelt und kaum je ganz aufzuklären. Hier und heute kann der erinnerungsgestützte emotionale Bewertungsprozess oft nicht mehr bewusst durchdrungen werden, er ist fest verwoben mit der sensorischen Erfahrung. Entscheidend ist, was ankommt: das unmittelbare intensive Gefühl. Lange bevor wir Gefühle verstehen können, wirken sie.
Die Intensität von Gefühlen hängt mit ihrer leiblichen Qualität zusammen, ihrer Spürbarkeit. Gefühle werden eben gefühlt, also körperlich erlebt. Gefühle bewegen uns mit Haut und Haaren. Ein Gedanke kann etwas klarer machen, Verbindungen herstellen, Möglichkeiten aufzeigen. Ein Gedanke überzeugt, leuchtet ein, verwirrt, aber er kann uns nur dann ganz packen, wenn er auch mit Emotionen einhergeht. Und zuletzt: Dass Gefühle so eigenwillig sind und man ihnen nicht gebieten kann, wissen wir gut aus Erfahrung. Man kann sich Gedanken machen, aber nicht Gefühle – die kommen oder nicht, wie sie wollen.
Besonders schnell, besonders intensiv, besonders eigenwillig das sind Gefühle.