Dank ihrer besonderen Eigenschaften (Schnelligkeit, Intensität und Eigenwilligkeit) können Gefühle ihre Funktion ganz besonders gut erfüllen. Gefühle machen uns darauf aufmerksam, dass etwas Bedeutsames passiert und sie tun dies so, dass wir sie nicht ohne weiteres ignorieren können. Was genau im Moment so wichtig ist, müssen wir selbst herausfinden. Gefühle tragen kein Etikett, auf dem steht, was sie bedeuten. Gefühle verbinden uns einfach in Sekundenschnelle mit einer Bewertung der Situation. Vor dem Hintergrund unserer gesamten bisherigen Erfahrung sagen uns Gefühle, wie das, was wir da gerade erleben für uns einzuschätzen ist, ob es für uns gefährlich, wertvoll, langweilig oder reizvoll ist. Wir tragen in uns eine riesige emotionale Datenbank, die zu Beginn des Lebens (manche sagen, schon bereits vor der Geburt) angelegt und seither mit immer neuen Informationen gefüttert wurde.
Stellen Sie sich vor, Sie besichtigen eine neue Wohnung. Während Sie durch die leeren Räume spazieren und sich die Ausführungen des Maklers anhören, bekommen Sie so ein komisches Gefühl im Bauch. Sie können sich das gar nicht genau erklären, denn die Wohnung ist eigentlich ganz schön, aber irgendwie gefällt Ihnen die Vorstellung nicht, dort zu wohnen. Solche komischen Gefühle können nicht immer aufgeklärt werden. Vielleicht wird Ihnen später klar, dass die Wohnung Sie an eine frühere Wohnung erinnert hat, in der Sie sich wie in einer verlassenen Höhle gefühlt haben. Vielleicht fällt Ihnen aber auch auf, dass es eher der unsympathische Makler war, der zu Ihrem Eindruck beigetragen hat.
Gefühle sind zunächst ungenaue Informationsgeber, dafür aber sehr schnelle und intensive. Diese Eigenart ist auch für ihre zweite wichtige Funktion von Bedeutung: Gefühle geben uns Energie, unsere Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen auszudrücken und etwas zu unternehmen. Gefühle wollen irgendwohin mit uns. Sie haben gewissermaßen einen Auftrag. Sie drängen, locken, ziehen, treiben uns sie bewegen uns in eine bestimmte Richtung.
Wir brauchen Gefühle, damit sie uns über uns und die Welt informieren und zu aktivem Handeln motivieren. Selbsterfahrung und Selbstausdruck kommen ohne Gefühle nicht aus. Wenn wir lernen, auf unsere Gefühle zu achten und ihre Signale zu verstehen, wird es uns gelingen, bessere Entscheidungen zu treffen, Probleme leichter zu lösen, anderen Menschen mit Offenheit und Selbstvertrauen zu begegnen und unserem Leben eine sinnvolle Richtung zu geben.
Die Schwierigkeit, die sich uns aber dabei präsentiert, ist, dass Gefühle nicht bloß brav auf gedankliche Bewertungen reagieren, sondern auch auf Wahrnehmungen anspringen, die wir jetzt machen und die uns mit dem Erleben vergangener Erfahrungen verbinden. Dadurch wird eine Überlegung notwendig: Ist die aktuelle Situation wirklich mit der vergangenen zu vergleichen? Hilft mir die Emotionen, die anstehende Situation gut zu bewältigen?
Wir stoßen hier auf das alte Problem des Verhältnisses zwischen Fühlen und Denken. Sollen Verstand und Wille das Gefühl beherrschen oder sollen wir den Gefühlen die Führung überlassen?