Der Konflikt zwischen Ich und Körper
Manche Menschen betrachten sich als friedfertige und harmonische Zeitgenossen. Ich und Konflikte? Ich lasse doch (meistens) allen ihren Frieden! Doch wir Menschen kommen um den Konflikt nicht herum. Und auch wenn wir uns in unserem Alltagsleben oftmals versöhnlich, gesprächsbereit und einverstanden zeigen, schlummert doch in uns Konfliktpotenzial.
Fangen wir also doch gleich bei uns selbst an: Wir leben in unserem Körper und gehen mit ihm um. Stellen wir uns einmal die Situation wie eine Teamarbeit vor: Ich, der Denker, und der Körper sind aufeinander angewiesen. Sie arbeiten zusammen. Wie arbeiten sie zusammen? Wie gehe ich mit meinem Körper um?
Sicher, manchmal wissen wir nicht, wie wir besser mit dem Körper umgehen können. Es fehlt das Wissen. Doch oft genug wissen wir durchaus, wie wir mit unserem Körper besser umgehen könnten und dennoch werden wir nicht aktiv. Verspannungen, Druck, Müdigkeit und Erschöpfung sind die Folge. Warum übergehen wir körperliche Signale so oft?
Betrachten wir einmal körperliche Belastungszeichen und Bewegungsprobleme als einen Konfliktfall, als ungelöste Interessenkollision. Lautet F. Glasl, einem bekannten Konflitkforscher, definiert sich ein Konflikt so: Ein Konflikt ist eine Interaktion, bei der es Unvereinbarkeiten gibt, die für mindestens einen Beteiligten eine Beeinträchtigung bedeuten.
So können wir sagen, dass es auch zwischen Ich und Körper manchmal Unvereinbarkeiten gibt. Ich will schnell fertig werden der Körper ist müde. Oder: Der Körper ist voller Energie ich will geduldig zuhören. Und dann kommt es zu Beeinträchitgungen. Ich will schnell fertig werden und überanstrenge den Körper. Oder ich will geduldig zuhören und fixiere meine Muskeln, um nicht meinen Bewegungsdrang zu spüren. Die Beeinträchtigung kommt irgendwo zum Vorschein und einer zieht den Kürzeren.
Nun geht die Konfliktgeschichte aber weiter. Denn erst wird der Konflikt nicht als solcher anerkannt, sondern erst einmal verschleppt, und zwar durch Strategien, die den Konflikt nur scheinbar lösen, in Wahrheit aber fixieren. Auf Seiten des Ich, das die Körperbedürfnisse übergeht, gibt es u. a. diese konfliktfixierenden Strategien:
- Ignorieren: Ach man soll sich nicht so wichtig nehmen.
- Abwerten: Ich hab eben schlechte Gelenke.
- Symptomorientiertes Korrigieren: Die Schulter sollte nach hinten gehen.
Und wie reagiert der Körper? Er ist unglücklich über diese Behandlung und stört den Betrieb z. B. durch:
- Rückzug, d. h. die Wahrnehmungsfähigkeit nimmt ab
- Symptomverlagerung
- Verstärkung der Störung
Der Irrtum hinter diesem eskalierenden Konflikt liegt in der Vorstellung, dass Körper und Ich unvereinbar gegensätzliche Interessen haben: Wenn ich auf den Körper achten würde, dann könnte ich nicht das Leben leben, wie ich es will. Dieses Denken ist weit verbreitet. Viele wünschen sich einen automatisierten Körperbetrieb: der Körper soll von selbst gut funktionieren, ohne dass das Ich etwas dazu tun soll. Man empfindet es als Zumutung, sich bewusst mit dem Körper zu befassen.
Bedürfnisse anerkennen
Doch diese Sicht ist kurzsichtig. Wenn sich das Ich gegen den Körper durchsetzt, schadet sich das Ich selbst. Ich und Körper sitzen im selben Boot. Wir brauchen einen offenen Blick für alle Bedürfnisse des Selbst. Körper und Ich sollen miteinander arbeiten, nicht gegeneinander.
Ich-Bedürfnisse sind solche Bedürfnisse, die vom Ich-Bewusstsein gebilligt und anerkannt werden, z. B. Bedürfnisse nach Anerkennung oder Sicherheit. Körper-Bedürfnisse sind solche Bedürfnisse, die in Verbindung mit dem Funktionieren und Wohl des Körpers und seiner Systeme stehen, also z. B. Raum, Nahrung, Koordination.
Manche Körper-Bedürfnisse werden vom Ich nicht anerkannt und dann entsteht ein Konflikt. Es ist z. B. so, als würde man sich sagen: Ich sehe nicht ein, dass mein Körper gerade Beweglichkeit braucht und keinen Zwang verträgt. Dabei hat das Ich gute Gründe. Wir sagen uns zum Beispiel: Ich muss unbedingt schnell fertig werden mit dieser Arbeit, dafür bekomme ich Anerkennung, und wenn ich es nicht schaffe, dann ernte ich Kritik. So werden Ich-Bedürfnisse auf dem Rücken des Körpers ausgetragen.
Wir werden miteinander aktiv
Wenn wir den Konflikt auflösen wollen, müssen wir diesen Gedanken in Frage stellen: Entweder muss ich gegen den Körper handeln, um Ich-Bedürfnisse zu befriedigen, oder ich handele gegen Ich-Bedürfnisse, um dem Körper gerecht zu werden. Dieses Entweder-Oder ist der fixierte Konflikt. Konfliktlösendes Denken zielt darauf ab, alle Bedürfnisse und Interessen in den Blick zu nehmen: Das Ich und seine Bedürfnisse sowie den Körper und seine Bedürfnisse. Konfliktlösendes Denken fragt, wie sich diese Bedürfnisse gleichzeitig berücksichtigen lassen.
In der Alexander-Technik finden wir ein Konzept , das einen perfekten Interessenausgleich zwischen Ich und Körper definiert. Einfach gesagt, lautet dieses Konzept so: Wenn du etwas willst, halt inne und überlege, wie du es erreichen kannst. Nutze dabei den Körper als das Instrument deines Handelns. Dann hilft er dir, das, was dir wichtig ist, zu verwirklichen. So einfach dies klingt in der Praxis verhalten wir uns oft anders. Wir nehmen körperliche Nebenwirkungen für unsere großen Ich-Ziele in Kauf.
Doch zum Glück gibt es einen Ausweg: wir können innehalten und lernen, anders zu denken.