Solange sie klaglos funktionieren, bemerken wir unsere Sinne wenig. Wir beachten sie so wenig wie Fensterscheiben, die wir nicht sehen, weil wir ja auf das achten, was hinter ihnen liegt – nicht merkend, dass wir überhaupt erst durch sie sehen können, was es zu sehen gibt.
Die Grundlage all unserer Urteile und Meinungen sind Sinneswahrnehmungen. Wir hören, sehen, riechen, schmecken, tasten und fühlen – und bauen uns aus diesen Sinnesdaten dann ein Bild von uns und der Welt. Das heißt, wir erzählen uns Geschichten mit einem Anfang, Verwicklungen, Höhepunkten, dramatischen Wendungen und einem mehr oder weniger glücklichen Ende. Wir erzählen und erzählen. Diese Geschichten bereiten die Bühne für uns selbst. Wir sind Akteure in einem Film, den wir selbst produzieren.
Die Einsicht in die Erschaffung der Welt aus der Kraft der eigenen Vorstellung bedeutet jedoch nicht, dass es völlig gleichgültig sei, was und wie wir über uns und die Welt denken. Unsere Geschichten sind nicht alle gleich falsch. So paradox es klingt: wir haben Verantwortung für unsere Geschichten, auch wenn sie stets widerlegt werden könnten.
Eine unserer Verantwortlichkeiten besteht darin, für eine möglichst differenzierte Sinneswahrnehmung zu sorgen. Dazu brauchen wir neben mentaler Offenheit und Wachheit vor allem auch einen geschulten Bewegungssinn, denn die Verfassung unserer Muskulatur hat einen indirekten Einfluss auf die Feinheit vor allem der propriozeptiven, visuellen und vestibulären Sinnesorgane, d. h. auf Körpergefühl, Sehsinn und Gleichgewicht.
Es ist das Verdienst F. M. Alexanders, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass die Qualität der Sinneswahrnehmung einen starken Einfluss auf unsere Wirklichkeitskonstruktion hat. Verzerrte Sinneswahrnehmungen führen zu falschen Geschichten. Wenn wir wieder lernen, genauer zu fühlen, was es zu fühlen gibt, dann entdecken wir, wie wenig wir eigentlich über uns und die Welt wissen.
Dieses Nicht-Wissen zu erleben (und auszuhalten) ist befreiend. Und es hilft uns dabei, uns den ungewussten Möglichkeiten des Lebens vertrauensvoller zu öffnen.