Archive for the ‘Innenleben’ Category

Gefühltes Wissen

Donnerstag, September 13th, 2012

Ich wache auf. Zuerst sind da nur unbestimmte Eindrücke: das Gefühl irgendwie verknotet zu liegen, es ist warm und ich habe Durst. Der nächste Gedanke: irgendwas ist schwierig. Und als eine Stimme mich erinnert, dass es jetzt Zeit aufzustehen ist, weiß ich bereits: Ich habe gar keine Lust aufzustehen, ich könnte mich am liebsten einfach nur wegdrehen und weiterschlafen.

Seltsam, dass wir wissen können, ohne verstehen zu müssen. Wir können wissen, dass es uns gut geht, ohne zu verstehen, warum. Wir können auch wissen, dass wir unglücklich sind, dass es ein Problem gibt, dass eine Gefahr droht oder etwas Wunderbares passieren wird, ohne dass wir uns erklären könnten, warum wir das so sicher wissen. Wir wissen es einfach.

Wir können diese Art des Wissens gefühltes Wissen nennen. Es bildet die Basis unserer Wirklichkeitserfahrung. Unsere Sinnesorgane liefern die Empfindungen und sensorischen Eindrücke, dann kommen irgendwie noch Vorstellungen und Gefühle dazu. Das Bewusstsein „schwimmt“ in dieser Suppe aus Körperempfindungen, Gefühlen und Gedanken. Der Verstand mag noch sehr die eigentliche Bedeutung dieser Erfahrung durchdringen wollen, es kann ihm nie ganz gelingen. Denn der Verstand schwimmt ja mit, er ist Teil des Bewusstseinsprozesses. Der Verstand kann nur so tun, als würde er das Ganze mal von außen anschauen. Er kann Distanz simulieren, ohne sie je echt verwirklichen zu können.

Die erste Aufgabe in jeder Art von bewusster Lebensgestaltung ist, sich mit dem eigenen gefühlten Wissen anzufreunden. Das bedeutet nicht, dass wir alles glauben müssen, was dieses Wissen uns erzählt. Wir können nämlich beobachten, dass es voller Irrtümer, Fehlschlüsse und einengenden Konditionierungen ist.  Dennoch ist das gefühlte Wissen zugleich unser wichtigster Schatz. Es steckt voller Weisheit, Intuition und Schönheit. Was immer wir in unserem Leben verändern, entdecken und entfalten wollen – wir können dies nur im Dialog mit unserem gefühlten Wissen tun.

Sich zuhören

Sonntag, Juni 12th, 2011

Wann haben Sie sich das letzte Mal zugehört? Was, das tun Sie schon? Sind Sie sicher? Sich zuhören, bedeutet, die Worte so hören, als spräche sie eine andere Person, als wüssten Sie nicht, wie es sich von innen anfühlt, diese Worte zu sprechen.

Stellen Sie sich doch um des Experimentes willen vor, was Sie von einem Menschen denken würden, der die Worte und Sätze spricht, die Sie gerade sprechen. Dann bekommen Sie einen Eindruck davon, wie vieldeutig  das ist, was Sie sagen. Sie werden merken, dass Ihr Gegenüber es gar nicht so leicht hat, Sie zu verstehen – denn er muss ohne das innere Begleitgefühl auskommen, zu dem Sie Zugang haben und das Ihnen so oft den trügerischen Eindruck vermittelt, Sie drückten sich klar aus.

Wenn Sie sich nun gut zugehört haben, dann werden Sie feststellen, dass Sie das ein oder andere nicht sagen, was Sie denken und fühlen. (Das ist in Ordnung, ich bin durchaus nicht für schonungslose Offenheit.) Die Frage ist aber: Haben wenigstens Sie selbst das Gedachte und Gefühlte, aber Nicht-Ausgedrückte richtig gehört? Also so gehört,  als spräche es ein anderer. Was für einer Person begegnen Sie dann, wenn Sie Ihren Gedanken und Gefühlen zuhören?

Es kann schwierig sein, auszusprechen, was man denkt. Wenn Sie es verstehen, sich selbst besser zuzuhören, werden Sie es künftig leichter finden. Denn einen Zuhörer haben Sie dann schon.

Was brauche ich?

Donnerstag, Mai 5th, 2011

Die Frage nach unseren Bedürfnissen lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigene Person. Für manche ist diese Perspektive ungewohnt, weil sie sich anderen Menschen, bestimmten Werten oder Idealen verpflichtet fühlen und sich die Frage nach eigenen Bedürfnissen nur in engen Grenzen gestatten.

„Was erwartet man von mir?“

„Was wollen andere von mir?“

 „Was ist richtig?“

„Was sollte ich tun?“

Diese Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf die Wünsche und Interessen anderer, auf Normen oder Wertvorstellungen, die in gewisser Weise unabhängig von mir selbst existieren. Die Frage „Was brauche ich?“ hingegen führt mich zu mir selbst zurück und lädt zu sorgfältigerer Selbstwahrnehmung ein. Die Frage nach den Bedürfnissen ist dann auch eine gute Vorbereitung auf die Frage nach den eigenen Zielen: „Was will ich in dieser Situation erreichen? Wo will ich hin?“

Wer für sich selbst Verantwortung übernehmen will, braucht Kenntnis der eigenen Bedürfnisse. Gewiss spielen die Interessen und Bedürfnisse anderer Menschen sowie bestimmte Werte und Normen auch eine Rolle bei der Wahl unserer persönlichen Ziele, aber ohne den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen laufen wir Gefahr, unsere „Zielsicherheit“ zu verlieren.

Tücke des Subjekts

Montag, April 4th, 2011

Haben Sie manchmal den Eindruck, dass Sie sich selbst im Weg stehen? Dass Sie es sich einfacher und leichter machen könnten? Dass nicht der blöde Stuhl an Ihren Rückenschmerzen, nicht der Chef an Ihrem Ärger, nicht das Wetter an Ihrer Laune schuld ist?

“Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.” Dieser herrliche Satz von Ödon von Horvath deutet eine ungemütliche Wahrheit an. Wir selbst hindern uns daran, so zu leben, wie wir es wünschen.

Der innere Schweinehund

Montag, April 4th, 2011

Wer wohl den Schweinehund erfunden hat? Oder gibt es ihn womöglich und er läuft frei herum? Eine Kreuzung aus Hund und Schwein, die in sich alles Hässliche dieser sonst ja für den Menschen recht nützlichen Tiere vereinigt? Nein, wahrscheinlich ging hier jemandem einfach die Fantasie durch und er schuf ein mythisches Wesen, halb Hund, halb Schwein – die Verkörperung niederer Instinkte, schlechter Gewohnheiten und unausrottbarer Gelüste.

Wenn Sie sich vornehmen, mit dem Rauchen aufzuhören, und das nicht schaffen, ist er schuld. Wenn Sie schwören, bei nächster Gelegenheit Ihren Schreibtisch aufzuräumen und drei Wochen später immer noch nichts passiert ist, muss er den Kopf hinhalten. Denn ein Mensch, der nicht das tut, was er sich vornimmt, kann unmöglich selbst dafür verantwortlich sein. Dazu braucht es schon einen Schweinehund.

Sie merken schon, dass ich von dem Konzept des inneren Schweinehunds nichts halte. Was mir daran nicht gefällt, ist die Annahme, dass der Impuls, eine Zigarette zu rauchen oder seinen Schreibtisch nicht aufzuräumen, irgendwie verwerflich sein soll. Das will mir nicht in den Sinn. Warum soll das verkehrt sein?

Das Abwerten und Tabuisieren von Wünschen und Handlungsimpulsen hat lange Tradition. Schon die Bibel ist voller Vorschriften davon, was man nicht tun soll.  Das ist verkehrt und Punkt, und wenn du es doch willst, bist du schlecht. Ein schlichtes Denkmodell von einiger Grausamkeit. Ein nicht ganz unwesentliches praktisches Problem kommt hinzu: die Abwertung des Wunsches, jetzt das zu wollen, was man gestern ablehnte, motiviert Menschen nicht, wirklich umzudenken und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Im Gegenteil, die Abwertung demütigt den Menschen, der sich verändern will, indem sie ihn in einen guten und einen schlechten Teil spaltet.

Ich möchte Ihnen deshalb ans Herz legen, sich nicht mehr die Geschichte vom inneren Schweinehund zu erzählen. Dann haben Sie zwar keinen mehr, den Sie für Ihre Inkonsequenz beschuldigen können, aber wäre das so verkehrt? Vielleicht liefe es dann beim nächsten Mal, wenn Sie die Zigaretten oder den unaufgeräumten Schreibtisch sehen, ganz schnörkellos auf die einfache Frage hinaus: Was will ich JETZT?