Archive for the ‘Veränderung’ Category

Konflikte lösen – erst die Beziehung, dann die Sache

Samstag, Mai 11th, 2013

Konflikte gehören zum Leben. Sie scheinen unvermeidlich zu sein angesichts der Unterschiedlichkeit der Menschen. Was ich will und brauche, ist nicht immer deckungsgleich mit dem, was du willst und brauchst.

Wo es Regeln gibt, lassen sich Konflikte vermeiden. Im Straßenverkehr zum Beispiel. Ein Konflikt zwischen Fahrer A und Fahrer B wird nach festen Regeln gelöst. Muss sich dann nur jeder an die Regeln halten, was bekanntlich nicht immer gelingt.

Die meisten Konflikte lassen sich aber nicht über Regeln lösen. Vor allem die zwischenmenschlichen Konflikte brauchen eine Offenheit für die besondere Situation, ein aktives Miteinander-Sprechen, Einander-Zuhören, ein Miteinander-Denken-und-Fühlen. Dieser Prozess lässt sich nicht in Regeln erfassen. Er ist zu vielschichtig und kann nur mit Präsenz, Einsicht und Intuition bewältigt werden.

Die Frage ist, ob wir die Tatsache anerkennen, dass Konflikte, die ungelöst bleiben, nicht einfach dadurch verschwinden, dass wir uns mit ihnen nicht mehr beschäftigen. Vielleicht hat sich A gegenüber B durchgesetzt und für ihn ist der Fall damit erledigt. Für B aber nicht und deswegen geht der Konflikt in veränderter Gestalt weiter. Wenn Konflikte ungelöst bleiben, wirken sie weiter. Es ist deswegen wichtig, zu verstehen, wie wir Konflikte lösen können.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Lösung ist die Klärung. Ein unklarer Konflikt kann nicht gelöst werden (außer durch Zufall oder Fügung). Was bedeutet Klärung? Der Konflikt erscheint auf den ersten Blick immer etwas anders, als er von seinem Wesen her ist. Das berühmte Beispiel aus der Partnerschaft ist der Streit um die Zahnpastatube: Ist es richtig, sie von hinten auszudrücken? Oder ist es erlaubt, sie von egal wo auszudrücken? Diese Sachfrage ist natürlich verbunden mit Beziehungsfragen: Wer darf hier wem sagen, was er tun soll? Wie kommen wir zusammen, wenn wir nun mal unterschiedlich sind? Könnte ich mich von meiner Position abbringen lassen und wie gefährlich wird das für mich, dir gegenüber nachzugeben – bin ich dann in deinen Augen nicht mehr so viel wert?

Diese Beziehungsfragen sind nun nicht mehr so harmlos wie die Frage nach der Zahnpastatube. Es sind essentielle Fragen des menschlichen Lebens. Wenn es uns nicht gelingt, auf diese Fragen eine Antwort zu finden, die uns beiden gerecht wird, dann werden wir es nicht schaffen, die Sache mit der Zahnpastatube klar zu kriegen. Dies ist eine Gesetzmäßigkeit: Beziehungskonflikt sticht Sachkonflikt. Wenn wir den Beziehuhgskonflikt nicht lösen können, dann kommen wir unter keinen Umständen an den Sachkonflikt heran. Umgekehrt geht das schon. Wenn der Sachkonflikt ungelöst bleibt, ist es durchaus möglich, unseren Beziehungskonflikt zu lösen.

Wenn wir die relative Vorrangigkeit des Beziehungskonflikts erst einmal verstehen, dann hören wir auf, uns immer wieder auf die Sachthemen zu stürzen. Denn wir werden spüren, dass dieses Sprechen über die Sachebene ein Ausweichen ist, getragen von der Furcht, den Beziehungskonflikt anzugehen.

Wir haben Konflikte nicht nur im alltäglichen privaten und beruflichen Leben, wo sie uns möglicherweise lösbar erscheinen mögen. Wir erleben auch Konflikte von großem Umfang. Groß deshalb, weil dort nicht einzelne Personen, sondern jeweils viele Menschen in großen Gruppen daran beteiligt sind: Parteien, Konzerne, Regierungen, Armeen, Gewerksschaften, Lobbygruppen, Bürgervereinigungen. Die Szenerie ist unüberschaubar. Wer hat mit wem eigentlich hier einen Konflikt? Worin besteht dieser Konflikt eigentlich? Worum geht es im Kern?

Diese Fragen können nicht beantwortet werden, wenn die tieferliegenden Beziehungsfragen nicht angegangen werden. Wenn zum Beispiel Menschen einander nicht mehr vertrauen können, wie sollen sie dann einen Konflikt gemeinsam lösen können? Wenn eine Gruppe vor einer anderen Gruppe Angst hat und misstrauisch ist, wie können wir dann erwarten, in der Sache weiterzukommen?

Es ist an der Zeit, dass wir uns darum bemühen, die Beziehungsfragen offen anzusprechen und ihre Wirkmächtigkeit anzuerkennen. Im Privatleben, im Beruf, in der Politik, in der Gesellschaft. Wenn wir dieses Tabu nicht auflösen, werden wir die Konflikte nicht lösen können. Und das bedeutet in der Konsequenz: Der Regenwald wird weiter abgeholzt werden. Die Meere werden weiter verseucht werden und die Gewalt in der Gesellschaft wird weiter zunehmen. Ein Konflikt verschwindet nicht, wenn wir ihn nicht lösen. Wir spüren ja tagtäglich die Folgen ungelöster Konflikte – unserer eigenen und der vielen, vielen ungelösten Konflikte der Vergangenheit, die unsere Vorfahren nicht zu lösen vermochten. Es ist an der Zeit, über unsere Konfliktkultur neu nachzudenken und Neues auszuprobieren.

Fangen Sie am besten heute damit an, Ihre Konflikte anzuschauen. Erst die Beziehungsebene, dann die Sachebene. Und dann kommen Sie darüber ins Gespräch. Und wenn es Ihnen nicht gelingt, den Konflikt zu lösen, so können Sie ihn doch wenigstens klären, d. h. relative Klarheit darüber herstellen, worum es dabei geht, sowohl auf der Beziehungs- als auch der Sachebene. Das ist der erste Schritt. Und vielleicht können Sie ja demnächst wieder darüber ins Gespräch kommen – und dann zeigt sich Ihnen und Ihrem Gegenüber, wie sich der Knoten auflösen lässt und Sie beide gemeinsam weiter gehen könnten.

 

 

 

 

Der kreative Impuls

Montag, April 8th, 2013

Wie kommt es überhaupt, dass Menschen kreativ sein können? Wie kommt es, dass aus dem Zustand „Ich habe ein Problem und weiß nicht, was ich tun soll“ dann vielleicht irgendwann ein „Aha, so könnte es gehen“ wird?

Mich interessiert das hier nicht aus theoretischer, sondern praktischer Sicht. Wie funktioniert der kreative Mechanismus (wenn es denn so etwas gibt) und wie könnte ich ihn für mich nutzen?

Ich möchte einen Punkt herausgreifen, der mir wichtig erscheint. Um kreativ zu sein, muss man bereit sein, die Situation, wie sie aktuell ist, klar und und unvoreingenommen wahrzunehmen. Erst dann können ja überhaupt neue Möglichkeiten sichtbar werden.

Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, aber es ist keine. Denn die Zeit für offenes, interessiertes und forschendes Wahrnehmen nehmen wir uns oft nicht. Und zwar deswegen, weil wir mit der Stress-Reaktion beschäftigt sind, die wir angesichts unseres „Problems“ (also des Zustands, den wir als schwierig, bedrohlich, gefährlich, verkehrt, unmgöglich etc. identifiziert haben) ausgelöst haben. Ein guter Teil jeder kreativen Problemlösung besteht jedoch darin, sich von den eigenen Ängsten, Sorgen oder Vorurteilen frei zu machen, die einer kreativen Lösung (oder einem kreativen nächsten Schritt) entgegenstehen.

Je weniger Angst und je mehr echtes Interesse wir angesichts des „Problems“ empfinden, desto leichter und einfacher wird uns etwas einfallen. Probieren Sie es aus.

 

 

Das Wie und das Was

Samstag, April 6th, 2013

Im allgemeinen denken die Menschen, dass sich ihre Ziele dann am besten verwirklichen lassen, wenn sie sich mit einer gewissen Konsequenz dem Erreichen dieser Ziele widmen.  Sie nennen das Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit oder vielleicht auch Ehrgeiz. Und wer feststellt, dass er die Ziele, die er sich setzt, nicht erreicht, weil er sie immer wieder aus den Augen verliert, vergisst oder ihnen sonstwie ausweicht, der diagnostiziert sich als inkonsequent, sprunghaft oder undiszipliniert.

Doch wie so oft ist auch hier die Diagnose Teil des Problems. Denn dort, wo ein gewünschtes Ziel nicht erreicht wird, geht es vielleicht eben nicht darum, dem Ziel noch mehr Nachdruck zu verleihen, indem man beispielsweise  „diszplinierter“ oder „konsequenter“ vorgeht. Vielleicht geht es eher darum, die Energie vom Ziel auf die Mittel, vom Was auf das Wie zu lenken.

Denn das Wie ist der nahezu untrügliche Gradmesser des Erfolgs. Wie ich an die Verwirklichung meiner Ziele herangehe, verrät mir bereits, ob ich auf Erfolg hoffen darf. Wenn Sie sich auf ein wichtiges Gespräch vorbereiten, achten Sie einmal darauf, wie Sie dasitzen, wenn Sie sich Gedanken darüber machen, was Sie sagen wollen. Wenn Sie Ihr Stressverhalten ändern wollen, schenken Sie der Art, wie Sie das Problem betrachten, größte Aufmerksamkeit.

Werde ich meine Ziele erreichen? Werde ich es schaffen, x zu tun und y zu lassen? Wenn Sie so fragen, bringen Sie doch einmal Ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Wie. Jedes Ziel, das Sie erreichen wollen, ist bereits jetzt Teil Ihres Lebens und Sie bewegen sich in dieser Sekunde entweder etwas darauf zu oder etwas davon weg. Wollen Sie sich JETZT wirklich etwas darauf zubewegen? Dann können Sie das. Es ist nicht schwer, nur vielleicht etwas ungewohnt.

 

 

 

 

 

 

Über das Risiko, sich sicher fühlen zu wollen

Samstag, September 8th, 2012

In einem alten Gruselfilm entdecken Polarforscher tiefgefroren im Eis ein unbekanntes Wesen. Neugierig verfrachten sie den Eisblock samt Inhalt in ihre gut geheizte Forschungsstation. Es dauert Tage, bis der mächtige Eisblock abtaut, und siehe da, das eingeforene Wesen erwacht zum Leben und zeigt sich als fieses Monster, das nichts anderes im Sinne hat, als Polarforscher anzugreifen. Und so zieht sich der Film in düsterem Schwarzweiß seine 90 Minuten hin, bis das Monster besiegt und die Forscher in Sicherheit sind.

Ich glaube, mir fiel der Film wieder ein, als ich irgendwo las, dass Muskelblockaden „abtauen“ und „schmelzen“ müssen, damit die darin gebundene Energie wieder frei fließen kann. Was aber wird frei, wenn das zuvor Gebundene entfesselt, das Gehaltene gelassen und das Eingefrorene abgetaut wird? In meiner spontanen Fantasie tauchte da gleich das Bild von dem Monster aus dem Eis auf – und brachte mich zum Nachdenken.

Die Angst vor dem Unbekannten ist der Stoff unzähliger Filme, Geschichten und Mythen. Die Angst davor, was passiert, wenn wir es wagen, das Eis abzutauen. Und allzu oft transportieren sie diese Warnung, dass es gefährlich ist, sich zu weit hinauszuwagen, denn „da draußen“ lauert das Böse: der Wolf im dunklen Wald, der Alien im Weltraum, das Monster im Eis. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Wir meinen, wir sind in Sicherheit, hier in unserem Leben, wie wir es kennen, und es kann uns erst richtig was Schlimmes passieren, wenn wir unser gewohntes Leben verlassen. So als wäre hier – in uns selbst, in unserem vertrauten Lebensumfeld – alles in Ordnung und unter Kontrolle. Wehe dir, wenn du es wagst, deine Sicherheit aufzugeben!

Da fällt mir jetzt das Märchen von dem Esel, dem Hund, dem Hahn und der Katze ein, die –  nutzlos für den Menschen geworden – ihren sicheren Tod vor Augen haben und beschließen, abzuhauen und was ganz Verrücktes zu machen, nämlich Stadtmusik in Bremen. Die glorreichen Vier brechen auf, weil sie es nicht mehr aushalten. Das Böse droht ihnen nicht da draußen, sondern hier. Und so machen sie sich verzweifelt-mutig auf die Reise. Ihr Motto: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“

Die Bremer Stadtmusikanten kommen nicht in Bremen an, aber das macht nichts, denn sie finden was viel Besseres: ein schönes Häuschen im Wald, das sie einer Räuberbande mit gezieltem Terror abluchsen. Indem sie sich – der Esel unten, dann der Hund, darauf die Katze und oben der Hahn – zu einer großen Gestalt aufrichten, jagen sie den Räubern eine Heidenangst ein und vertreiben sie aus dem Häuschen im Wald. Die Bremer Stadtmusikanten führen eine Parodie des bösen Monsters auf, und die Räuber fallen darauf herein.

Dieses wunderbare Märchen klärt uns darüber auf, dass das Gefährliche nicht so sehr jenseits des bekannten Lebens beginnt, sondern bereits hier und jetzt, genau hier, wo wir es uns in unserem Leben so gut eingerichtet haben. Wir projizieren unsere Ängste und Nöte gerne in „die böse Welt da draußen“ und kaschieren damit die untergründige Nähe und Gegenwart all des Gefesselten und Eingefrorenen in uns. In diesem Zustand sind wir wie die Räuber im Wald: wir sehen Gespenster, wo keine sind.

Wir halten an unseren Sicherheiten fest und spüren gar nicht mehr, wie sie uns einengen und die Luft zum Atmen rauben. Wir erfinden die Monster im Eis, die bösen Außerirdischen und die Terroristen, weil wir Angst haben, aber nicht zugeben wollen, dass es unser eigenes Leben ist, das uns Angst macht – dass wir selbst es sind, die uns erschrecken.

Verändern beginnt mit Nicht-Verändern

Sonntag, Juli 3rd, 2011

Ein seltsames Paradox in der Psychologie der Veränderung besteht darin, dass wir den Prozess der Veränderung dann am wirksamsten in die Wege leiten, wenn wir aufhören, sofort etwas ändern zu wollen.

Wie kommt das?

Stellen Sie sich vor, Sie entdecken in Ihrem Leben etwas, das Sie stört. Was tun Sie als erstes? Ich nehme an, Sie versuchen, dieses störende Etwas irgendwie zu beseitigen oder zu umgehen. Dies ist der Versuch Nummer 1, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Der Versuch Nummer 1 ist in der Regel grob gestrickt. Er besteht in einfachen Korrekturen, Ermahnungen oder Reglementierungen.

„Nimm dich zusammen, du isst zuviel!“

„Sei doch mal etwas mutiger!“

„Was stellst du dich so an, sei doch nicht so ein Schisshase!“

Veränderungsversuche dieser Kategorie können erfolgreich sein. Die lästige Wespe, die sich Ihrer Erdbeertorte nähert, verzieht sich vielleicht tatsächlich, wenn Sie einmal kräftig mit der Hand in ihre Richtung wedeln. Doch wo es um die Veränderung von Einstellungen, Selbstdialogen und Handlungsmodalitäten geht, sind diese Versuche meist erstaunlich wirkungslos. Wenn Sie sich davor fürchten, vor einer größeren Gruppe von Menschen zu sprechen, dann bringt es wenig, sich zu sagen: „Stell dich nicht so an!“ Seltsamerweise wiederholen wir diese Veränderungsversuche oft unzählige Male und glauben trotz ausbleibender Erfolge immer noch daran, damit etwas zu verändern.

Wenn Sie sich einmal die Zeit nehmen, hinter die Kulisse Ihrer Selbstermahnungen und Selbstkorrekturen zu schauen, sehen Sie ungeduldige und ärgerliche Gestalten, die Ihr Leben von allen Störungen befreien wollen. Das sind Ihre Veränderungsmanager – die allzeit geschäftigen Kontrolleure Ihres Lebens. Sie strahlen irgendwie Autorität aus, schüchtern Sie aber auch etwas ein. Wenn Sie sich dann die Zeit nehmen, mit diesen Veränderungsmanagern zu sprechen, werden Sie merken, dass die es auch nicht wirklich besser wissen. Genau genommen, sind sie sogar regelrecht verunsichert. Die haben Angst!

Wenn Sie dies entdecken, werden Sie verstehen, dass es besser ist, diesen Gestalten die Steuerung Ihres Veränderungsprozesses zu entziehen. Führen Sie sich Ihre erfolglosen Versuche der Selbstveränderung vor Augen und machen Sie sich klar: „So hat es nicht funktioniert. So brauche ich es nicht weiterhin probieren. Meine inneren Veränderungsmanager sind überfordert.“

Mit dieser Erkenntnis verbindet sich die Einsicht, dass Sie zunächst einmal nicht wissen müssen, wie Sie Ihr Veränderungsziel erreichen könnten. Es reicht, zu spüren: „Da ist es etwas, um das ich mich kümmern will. Ich weiß noch nicht, wie ich das schaffe.“ Wenn Sie diesen Schritt vollziehen, werden Sie eine gewisse Entspannung erleben. Sie haben vielleicht das Gefühl: „Wie wunderbar, mich nicht angestrengt gegen diese Störungen in meinem Leben stemmen zu müssen!“ Zugleich erleben Sie vielleicht Ihre Unsicherheit angesichts der anstehenden Herausforderungen, die der gewünschte Veränderungsprozess mit sich bringt. Sie merken dann vielleicht aber auch: „Ich kann diese Unsicherheit aushalten, denn ich spüre noch etwas anderes, etwas das mir Hoffnung gibt, etwas Lebendiges, Unbändiges, das ich vorher bei all meinen bemühten Veränderungsaktionen nicht bemerkt habe!“

Verändern beginnt mit Nicht-Verändern. So einfach ist das. Anstrengung bringt nichts, im Gegenteil, sie fixiert die Angst vor Veränderung im Krampf undurchdachter Korrekturen.  Hören Sie auf, sich anzustrengen, denn die meisten Wespen kommen sowieso wieder. Und wenn man sie ärgert, stechen sie.

Seminar „Leichter gehen, stehen, sitzen“, 29.05.11

Sonntag, Mai 29th, 2011

Wir bewegen uns den ganzen Tag, aber wie eigentlich? Wissen wir, wie wir uns bewegen? Oder verlassen wir uns einfach darauf, dass es so, wie es ist, gut ist? – Wenn Sie anfangen, einen Blick hinter die Kulisse der Selbstverständlichkeit zu werfen, werden Sie Erstaunliches entdecken.

Erstens: Sie bewegen sich so, wie Sie es sich im jeweiligen Moment vornehmen. Der Körper „hört“ auf Ihre Gedanken, Ideen und Befehle. Und zweitens: Vieles davon, was Sie Ihrem Körper mit auf den Weg geben, ist nicht durchdacht, sondern folgt allgemein gängigen, aber recht ineffektiven Ideen von Bewegung und Handlungsgestaltung.

Ein Beispiel: Sie merken, dass Sie beim Schreiben am PC zusammengesunken dasitzen und fühlen sich verspannt. Sie strecken den Oberkörper durch und recken sich in eine „aufrechte“ Position, die Sie dann ein paar Sekunden zu „halten“ versuchen. Nach ein paar Minuten wandert Ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm und im Hintergrund nehmen Sie noch wahr,  dass Sie den Kampf um die aufrechte Position gegen die Schwerkraft verlieren werden. Ein schlechtes Gewissen macht sich breit: „Ich sollte mal mehr Sport machen…“

Wie seltsam, dass Menschen nicht aufhören sich zu korrigieren, auch wenn diese Korrekturen offensichtlich nicht funktionieren. Was ist die Alternative? Drücken Sie nicht das Becken gegen das Gewicht des zusammengesackten Rumpfes nach oben, sondern lassen Sie den Kopf durch sein dynamisches Verhältnis zur Wirbelsäule den Oberkörper in die Aufrichtung führen. Das ist viel einfacher und lässt sich – unter fachkundiger Anleitung – lernen.

Daher meine Empfehlung: Verzichten Sie auf „Korrekturen“, die nicht funktionieren. Sie dienen meistens nur der Selbstbeschwichtigung: „Wenigstens gebe ich mir Mühe…“ Und auch wenn Sie noch keine Alternativen kennen, so ist es doch schon ein Gewinn, sich von der Untauglichkeit vertrauter Vorgehensweisen zu überzeugen. Jeder neue Weg beginnt mit dem Verlassen des alten.

Ich weiß so viel und tu so wenig

Freitag, Mai 27th, 2011

Eine häufige Klage veränderungswilliger Menschen lautet ungefähr so: „Da habe ich schon so viel gelernt und weiß so viel, und doch kann ich so wenig umsetzen. Irgendwie scheine ich nie das zu erreichen, was ich eigentlich will. Und dabei habe ich schon so viele Bücher gelesen…“

Wissen allein macht noch kein Handeln. Das ist eine allseits beobachtbare Tatsache. Die Menschen wissen beispielsweise, dass zwei Tüten Chips bei wenig Bewegung nicht gerade gesund sind – und landen trotzdem immer wieder auf der Couch. Auf dem Weg vom Wissen zum Handeln gibt es zahlreiche Stolpersteine, und einer davon ist die verbreitete Neigung, abstraktes Wissen für ausreichend für Verhaltensänderung zu halten.

Ohne direkte persönliche Erfahrung kann keine Veränderung gelingen. Sich aber darauf einzulassen, ist häufig so schwer. Nicht weil es in sich schwer wäre, sondern weil wir es für schwer halten. Wir ahnen, dass der lebendige Strom der Erfahrung unsere Gefühle, Haltungen und Einstellungen stärker verändern könnte, als uns lieb ist. Veränderung ja, aber bitte nicht zu viel davon! Es ist diese diffuse Angst vor der Wucht neuer Erfahrungen, mit der jeder Veränderungswillige rechnen muss.

Wenn Sie also mal wieder über sich den Kopf schütteln, wenn Sie nicht das tun, was Sie nach Ihrem aktuellen Wissensstand von sich erwarten, dann schenken Sie sich etwas Bedenkzeit: „Welche Erfahrung ist es, die ich fürchte? Wie wäre es, wenn ich mich dennoch mal darauf einließe?“ Und wenn Sie dann etwas Bereitschaft spüren, dann führen Sie sich freundlich, aber bestimmt über die Grenzen des Vertrauten hinweg in eine neue Erfahrung.

Nicht ganz normal

Mittwoch, April 13th, 2011

Wenn Sie sich darauf einlassen, etwas an Ihrem Denken und Handeln zu verändern, dann werden Sie etwas an sich erleben, was Sie vorher noch nicht erlebt haben. Dann aber kann es sein, dass Sie das Gefühl bekommen, nicht mehr ganz normal zu sein.

Wenn beispielsweise eine Person, die sich bislang schwer getan hat, eine eigene Meinung zu vertreten, offener über ihre Ansichten spricht, dann fühlt sie sich möglicherweise „arrogant“ oder „egozentrisch“. Und es taucht das Gefühl auf: „Das ist komisch, das ist nicht normal!“

Aber was ist eigentlich normal?

Normalität – ist das die Summe dessen, was die Mehrheit der Menschen tun? Oder was die Mehrheit der Menschen erwarten? Erwartungsnormalität und Handlungsnormalität sind zwei recht verschiedene Größen. Dass eine Mehrheit ein bestimmtes Denken, Fühlen oder Verhalten wünscht und befürwortet, bedeutet nicht, dass diese Mehrheit diesen Ansprüchen im Leben tatsächlich genügt.

So ist das zum Beispiel mit der freien Meinungsäußerung. Hier klaffen Erwartung und Handlung weit auseinander. Wir leben in einer Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung zwar mehrheitlich propagiert, aber praktiziert sie sie auch? Ich habe da meine Zweifel. Im Wirtschaftsleben ist es beispielsweise recht üblich, freie Meinungsäußerung zu sanktionieren. Und jeder weiß, wie unwillkommen eine offene Aussprache im Privatleben sein kann. Freie Meinungsäußerung? Gerne, aber bitte beachten Sie unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen.

„Die anderen können doch auch sagen, was sie wollen. Und ich habe Angst, meine Meinung sagen – das ist doch nicht normal! “

Doch, das ist es vermutlich. Und es ist relativ normal, Angst zu empfinden, wenn man von der vermeintlich herrschenden Meinung abweicht, weil dieses Abweichen zwar prinzipiell gelobt, aber in Wirklichkeit vermieden wird.

Normalität ist ein Gespenst, das sich bei genauem Hinsehen in nichts auflöst. Wenn Sie sich also das nächste Mal nicht ganz normal fühlen, erschrecken Sie nicht. Fragen Sie sich, wieviele Sie kennen, die das, was Sie von sich erwarten, tatsächlich tun. Die Chancen stehen recht gut, dass Sie überraschende Antworten finden.

Der innere Schweinehund

Montag, April 4th, 2011

Wer wohl den Schweinehund erfunden hat? Oder gibt es ihn womöglich und er läuft frei herum? Eine Kreuzung aus Hund und Schwein, die in sich alles Hässliche dieser sonst ja für den Menschen recht nützlichen Tiere vereinigt? Nein, wahrscheinlich ging hier jemandem einfach die Fantasie durch und er schuf ein mythisches Wesen, halb Hund, halb Schwein – die Verkörperung niederer Instinkte, schlechter Gewohnheiten und unausrottbarer Gelüste.

Wenn Sie sich vornehmen, mit dem Rauchen aufzuhören, und das nicht schaffen, ist er schuld. Wenn Sie schwören, bei nächster Gelegenheit Ihren Schreibtisch aufzuräumen und drei Wochen später immer noch nichts passiert ist, muss er den Kopf hinhalten. Denn ein Mensch, der nicht das tut, was er sich vornimmt, kann unmöglich selbst dafür verantwortlich sein. Dazu braucht es schon einen Schweinehund.

Sie merken schon, dass ich von dem Konzept des inneren Schweinehunds nichts halte. Was mir daran nicht gefällt, ist die Annahme, dass der Impuls, eine Zigarette zu rauchen oder seinen Schreibtisch nicht aufzuräumen, irgendwie verwerflich sein soll. Das will mir nicht in den Sinn. Warum soll das verkehrt sein?

Das Abwerten und Tabuisieren von Wünschen und Handlungsimpulsen hat lange Tradition. Schon die Bibel ist voller Vorschriften davon, was man nicht tun soll.  Das ist verkehrt und Punkt, und wenn du es doch willst, bist du schlecht. Ein schlichtes Denkmodell von einiger Grausamkeit. Ein nicht ganz unwesentliches praktisches Problem kommt hinzu: die Abwertung des Wunsches, jetzt das zu wollen, was man gestern ablehnte, motiviert Menschen nicht, wirklich umzudenken und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Im Gegenteil, die Abwertung demütigt den Menschen, der sich verändern will, indem sie ihn in einen guten und einen schlechten Teil spaltet.

Ich möchte Ihnen deshalb ans Herz legen, sich nicht mehr die Geschichte vom inneren Schweinehund zu erzählen. Dann haben Sie zwar keinen mehr, den Sie für Ihre Inkonsequenz beschuldigen können, aber wäre das so verkehrt? Vielleicht liefe es dann beim nächsten Mal, wenn Sie die Zigaretten oder den unaufgeräumten Schreibtisch sehen, ganz schnörkellos auf die einfache Frage hinaus: Was will ich JETZT?