Konflikte lösen – erst die Beziehung, dann die Sache

Mai 11th, 2013

Konflikte gehören zum Leben. Sie scheinen unvermeidlich zu sein angesichts der Unterschiedlichkeit der Menschen. Was ich will und brauche, ist nicht immer deckungsgleich mit dem, was du willst und brauchst.

Wo es Regeln gibt, lassen sich Konflikte vermeiden. Im Straßenverkehr zum Beispiel. Ein Konflikt zwischen Fahrer A und Fahrer B wird nach festen Regeln gelöst. Muss sich dann nur jeder an die Regeln halten, was bekanntlich nicht immer gelingt.

Die meisten Konflikte lassen sich aber nicht über Regeln lösen. Vor allem die zwischenmenschlichen Konflikte brauchen eine Offenheit für die besondere Situation, ein aktives Miteinander-Sprechen, Einander-Zuhören, ein Miteinander-Denken-und-Fühlen. Dieser Prozess lässt sich nicht in Regeln erfassen. Er ist zu vielschichtig und kann nur mit Präsenz, Einsicht und Intuition bewältigt werden.

Die Frage ist, ob wir die Tatsache anerkennen, dass Konflikte, die ungelöst bleiben, nicht einfach dadurch verschwinden, dass wir uns mit ihnen nicht mehr beschäftigen. Vielleicht hat sich A gegenüber B durchgesetzt und für ihn ist der Fall damit erledigt. Für B aber nicht und deswegen geht der Konflikt in veränderter Gestalt weiter. Wenn Konflikte ungelöst bleiben, wirken sie weiter. Es ist deswegen wichtig, zu verstehen, wie wir Konflikte lösen können.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Lösung ist die Klärung. Ein unklarer Konflikt kann nicht gelöst werden (außer durch Zufall oder Fügung). Was bedeutet Klärung? Der Konflikt erscheint auf den ersten Blick immer etwas anders, als er von seinem Wesen her ist. Das berühmte Beispiel aus der Partnerschaft ist der Streit um die Zahnpastatube: Ist es richtig, sie von hinten auszudrücken? Oder ist es erlaubt, sie von egal wo auszudrücken? Diese Sachfrage ist natürlich verbunden mit Beziehungsfragen: Wer darf hier wem sagen, was er tun soll? Wie kommen wir zusammen, wenn wir nun mal unterschiedlich sind? Könnte ich mich von meiner Position abbringen lassen und wie gefährlich wird das für mich, dir gegenüber nachzugeben – bin ich dann in deinen Augen nicht mehr so viel wert?

Diese Beziehungsfragen sind nun nicht mehr so harmlos wie die Frage nach der Zahnpastatube. Es sind essentielle Fragen des menschlichen Lebens. Wenn es uns nicht gelingt, auf diese Fragen eine Antwort zu finden, die uns beiden gerecht wird, dann werden wir es nicht schaffen, die Sache mit der Zahnpastatube klar zu kriegen. Dies ist eine Gesetzmäßigkeit: Beziehungskonflikt sticht Sachkonflikt. Wenn wir den Beziehuhgskonflikt nicht lösen können, dann kommen wir unter keinen Umständen an den Sachkonflikt heran. Umgekehrt geht das schon. Wenn der Sachkonflikt ungelöst bleibt, ist es durchaus möglich, unseren Beziehungskonflikt zu lösen.

Wenn wir die relative Vorrangigkeit des Beziehungskonflikts erst einmal verstehen, dann hören wir auf, uns immer wieder auf die Sachthemen zu stürzen. Denn wir werden spüren, dass dieses Sprechen über die Sachebene ein Ausweichen ist, getragen von der Furcht, den Beziehungskonflikt anzugehen.

Wir haben Konflikte nicht nur im alltäglichen privaten und beruflichen Leben, wo sie uns möglicherweise lösbar erscheinen mögen. Wir erleben auch Konflikte von großem Umfang. Groß deshalb, weil dort nicht einzelne Personen, sondern jeweils viele Menschen in großen Gruppen daran beteiligt sind: Parteien, Konzerne, Regierungen, Armeen, Gewerksschaften, Lobbygruppen, Bürgervereinigungen. Die Szenerie ist unüberschaubar. Wer hat mit wem eigentlich hier einen Konflikt? Worin besteht dieser Konflikt eigentlich? Worum geht es im Kern?

Diese Fragen können nicht beantwortet werden, wenn die tieferliegenden Beziehungsfragen nicht angegangen werden. Wenn zum Beispiel Menschen einander nicht mehr vertrauen können, wie sollen sie dann einen Konflikt gemeinsam lösen können? Wenn eine Gruppe vor einer anderen Gruppe Angst hat und misstrauisch ist, wie können wir dann erwarten, in der Sache weiterzukommen?

Es ist an der Zeit, dass wir uns darum bemühen, die Beziehungsfragen offen anzusprechen und ihre Wirkmächtigkeit anzuerkennen. Im Privatleben, im Beruf, in der Politik, in der Gesellschaft. Wenn wir dieses Tabu nicht auflösen, werden wir die Konflikte nicht lösen können. Und das bedeutet in der Konsequenz: Der Regenwald wird weiter abgeholzt werden. Die Meere werden weiter verseucht werden und die Gewalt in der Gesellschaft wird weiter zunehmen. Ein Konflikt verschwindet nicht, wenn wir ihn nicht lösen. Wir spüren ja tagtäglich die Folgen ungelöster Konflikte – unserer eigenen und der vielen, vielen ungelösten Konflikte der Vergangenheit, die unsere Vorfahren nicht zu lösen vermochten. Es ist an der Zeit, über unsere Konfliktkultur neu nachzudenken und Neues auszuprobieren.

Fangen Sie am besten heute damit an, Ihre Konflikte anzuschauen. Erst die Beziehungsebene, dann die Sachebene. Und dann kommen Sie darüber ins Gespräch. Und wenn es Ihnen nicht gelingt, den Konflikt zu lösen, so können Sie ihn doch wenigstens klären, d. h. relative Klarheit darüber herstellen, worum es dabei geht, sowohl auf der Beziehungs- als auch der Sachebene. Das ist der erste Schritt. Und vielleicht können Sie ja demnächst wieder darüber ins Gespräch kommen – und dann zeigt sich Ihnen und Ihrem Gegenüber, wie sich der Knoten auflösen lässt und Sie beide gemeinsam weiter gehen könnten.

 

 

 

 

Der kreative Impuls

April 8th, 2013

Wie kommt es überhaupt, dass Menschen kreativ sein können? Wie kommt es, dass aus dem Zustand „Ich habe ein Problem und weiß nicht, was ich tun soll“ dann vielleicht irgendwann ein „Aha, so könnte es gehen“ wird?

Mich interessiert das hier nicht aus theoretischer, sondern praktischer Sicht. Wie funktioniert der kreative Mechanismus (wenn es denn so etwas gibt) und wie könnte ich ihn für mich nutzen?

Ich möchte einen Punkt herausgreifen, der mir wichtig erscheint. Um kreativ zu sein, muss man bereit sein, die Situation, wie sie aktuell ist, klar und und unvoreingenommen wahrzunehmen. Erst dann können ja überhaupt neue Möglichkeiten sichtbar werden.

Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, aber es ist keine. Denn die Zeit für offenes, interessiertes und forschendes Wahrnehmen nehmen wir uns oft nicht. Und zwar deswegen, weil wir mit der Stress-Reaktion beschäftigt sind, die wir angesichts unseres „Problems“ (also des Zustands, den wir als schwierig, bedrohlich, gefährlich, verkehrt, unmgöglich etc. identifiziert haben) ausgelöst haben. Ein guter Teil jeder kreativen Problemlösung besteht jedoch darin, sich von den eigenen Ängsten, Sorgen oder Vorurteilen frei zu machen, die einer kreativen Lösung (oder einem kreativen nächsten Schritt) entgegenstehen.

Je weniger Angst und je mehr echtes Interesse wir angesichts des „Problems“ empfinden, desto leichter und einfacher wird uns etwas einfallen. Probieren Sie es aus.

 

 

Das Wie und das Was

April 6th, 2013

Im allgemeinen denken die Menschen, dass sich ihre Ziele dann am besten verwirklichen lassen, wenn sie sich mit einer gewissen Konsequenz dem Erreichen dieser Ziele widmen.  Sie nennen das Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit oder vielleicht auch Ehrgeiz. Und wer feststellt, dass er die Ziele, die er sich setzt, nicht erreicht, weil er sie immer wieder aus den Augen verliert, vergisst oder ihnen sonstwie ausweicht, der diagnostiziert sich als inkonsequent, sprunghaft oder undiszipliniert.

Doch wie so oft ist auch hier die Diagnose Teil des Problems. Denn dort, wo ein gewünschtes Ziel nicht erreicht wird, geht es vielleicht eben nicht darum, dem Ziel noch mehr Nachdruck zu verleihen, indem man beispielsweise  „diszplinierter“ oder „konsequenter“ vorgeht. Vielleicht geht es eher darum, die Energie vom Ziel auf die Mittel, vom Was auf das Wie zu lenken.

Denn das Wie ist der nahezu untrügliche Gradmesser des Erfolgs. Wie ich an die Verwirklichung meiner Ziele herangehe, verrät mir bereits, ob ich auf Erfolg hoffen darf. Wenn Sie sich auf ein wichtiges Gespräch vorbereiten, achten Sie einmal darauf, wie Sie dasitzen, wenn Sie sich Gedanken darüber machen, was Sie sagen wollen. Wenn Sie Ihr Stressverhalten ändern wollen, schenken Sie der Art, wie Sie das Problem betrachten, größte Aufmerksamkeit.

Werde ich meine Ziele erreichen? Werde ich es schaffen, x zu tun und y zu lassen? Wenn Sie so fragen, bringen Sie doch einmal Ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Wie. Jedes Ziel, das Sie erreichen wollen, ist bereits jetzt Teil Ihres Lebens und Sie bewegen sich in dieser Sekunde entweder etwas darauf zu oder etwas davon weg. Wollen Sie sich JETZT wirklich etwas darauf zubewegen? Dann können Sie das. Es ist nicht schwer, nur vielleicht etwas ungewohnt.

 

 

 

 

 

 

Den eigenen Wahrnehmungen vertrauen

April 3rd, 2013

Es ist für uns Menschen wichtig, dass wir die Möglichkeit haben, unseren eigenen Wahrnehmungen zu vertrauen. Das heißt nicht, dass wir uns mit dem, was wir wahrnehmen, nicht auch irren könnten.  Aber zunächst einmal ist es wichtig, dass wir unseren eigenen Blick auf die Situation entwickeln, in der wir uns gerade befinden.

Dies geschieht zunächst dadurch, dass wir in uns das Bewusstsein entwickeln: „Aha, ich sehe das jetzt so und so.“ Das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung ist aber erst dann echtes Vertrauen, wenn wir in der Lage sind, diese Wahrnehmung offen und einfach anderen gegenüber zu vertreten.

Doch das erscheint uns oft recht schwierig. Vielleicht wir lassen uns  von dem beeinflussen, was andere sagen.  Vielleicht spüren wir, was wir selbst denken,  trauen uns aber nicht, etwas zu sagen, weil wir nicht anecken wollen. Manches, das uns schon auf der Zunge liegt, wird wieder heruntergeschluckt, weil man das Urteil der anderen fürchtet.

Den eigenen Wahrnehmungen vertrauen erfordert Klarheit und Mut. Ich weiß schon: es gibt viele gute Gründe, nicht zu sagen, was man gerade denkt. Aber ist diese Entscheidung in jedem Fall wirklich eine freie Entscheidung?

 

 

 

 

Gefühltes Wissen

September 13th, 2012

Ich wache auf. Zuerst sind da nur unbestimmte Eindrücke: das Gefühl irgendwie verknotet zu liegen, es ist warm und ich habe Durst. Der nächste Gedanke: irgendwas ist schwierig. Und als eine Stimme mich erinnert, dass es jetzt Zeit aufzustehen ist, weiß ich bereits: Ich habe gar keine Lust aufzustehen, ich könnte mich am liebsten einfach nur wegdrehen und weiterschlafen.

Seltsam, dass wir wissen können, ohne verstehen zu müssen. Wir können wissen, dass es uns gut geht, ohne zu verstehen, warum. Wir können auch wissen, dass wir unglücklich sind, dass es ein Problem gibt, dass eine Gefahr droht oder etwas Wunderbares passieren wird, ohne dass wir uns erklären könnten, warum wir das so sicher wissen. Wir wissen es einfach.

Wir können diese Art des Wissens gefühltes Wissen nennen. Es bildet die Basis unserer Wirklichkeitserfahrung. Unsere Sinnesorgane liefern die Empfindungen und sensorischen Eindrücke, dann kommen irgendwie noch Vorstellungen und Gefühle dazu. Das Bewusstsein „schwimmt“ in dieser Suppe aus Körperempfindungen, Gefühlen und Gedanken. Der Verstand mag noch sehr die eigentliche Bedeutung dieser Erfahrung durchdringen wollen, es kann ihm nie ganz gelingen. Denn der Verstand schwimmt ja mit, er ist Teil des Bewusstseinsprozesses. Der Verstand kann nur so tun, als würde er das Ganze mal von außen anschauen. Er kann Distanz simulieren, ohne sie je echt verwirklichen zu können.

Die erste Aufgabe in jeder Art von bewusster Lebensgestaltung ist, sich mit dem eigenen gefühlten Wissen anzufreunden. Das bedeutet nicht, dass wir alles glauben müssen, was dieses Wissen uns erzählt. Wir können nämlich beobachten, dass es voller Irrtümer, Fehlschlüsse und einengenden Konditionierungen ist.  Dennoch ist das gefühlte Wissen zugleich unser wichtigster Schatz. Es steckt voller Weisheit, Intuition und Schönheit. Was immer wir in unserem Leben verändern, entdecken und entfalten wollen – wir können dies nur im Dialog mit unserem gefühlten Wissen tun.

Über das Risiko, sich sicher fühlen zu wollen

September 8th, 2012

In einem alten Gruselfilm entdecken Polarforscher tiefgefroren im Eis ein unbekanntes Wesen. Neugierig verfrachten sie den Eisblock samt Inhalt in ihre gut geheizte Forschungsstation. Es dauert Tage, bis der mächtige Eisblock abtaut, und siehe da, das eingeforene Wesen erwacht zum Leben und zeigt sich als fieses Monster, das nichts anderes im Sinne hat, als Polarforscher anzugreifen. Und so zieht sich der Film in düsterem Schwarzweiß seine 90 Minuten hin, bis das Monster besiegt und die Forscher in Sicherheit sind.

Ich glaube, mir fiel der Film wieder ein, als ich irgendwo las, dass Muskelblockaden „abtauen“ und „schmelzen“ müssen, damit die darin gebundene Energie wieder frei fließen kann. Was aber wird frei, wenn das zuvor Gebundene entfesselt, das Gehaltene gelassen und das Eingefrorene abgetaut wird? In meiner spontanen Fantasie tauchte da gleich das Bild von dem Monster aus dem Eis auf – und brachte mich zum Nachdenken.

Die Angst vor dem Unbekannten ist der Stoff unzähliger Filme, Geschichten und Mythen. Die Angst davor, was passiert, wenn wir es wagen, das Eis abzutauen. Und allzu oft transportieren sie diese Warnung, dass es gefährlich ist, sich zu weit hinauszuwagen, denn „da draußen“ lauert das Böse: der Wolf im dunklen Wald, der Alien im Weltraum, das Monster im Eis. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Wir meinen, wir sind in Sicherheit, hier in unserem Leben, wie wir es kennen, und es kann uns erst richtig was Schlimmes passieren, wenn wir unser gewohntes Leben verlassen. So als wäre hier – in uns selbst, in unserem vertrauten Lebensumfeld – alles in Ordnung und unter Kontrolle. Wehe dir, wenn du es wagst, deine Sicherheit aufzugeben!

Da fällt mir jetzt das Märchen von dem Esel, dem Hund, dem Hahn und der Katze ein, die –  nutzlos für den Menschen geworden – ihren sicheren Tod vor Augen haben und beschließen, abzuhauen und was ganz Verrücktes zu machen, nämlich Stadtmusik in Bremen. Die glorreichen Vier brechen auf, weil sie es nicht mehr aushalten. Das Böse droht ihnen nicht da draußen, sondern hier. Und so machen sie sich verzweifelt-mutig auf die Reise. Ihr Motto: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“

Die Bremer Stadtmusikanten kommen nicht in Bremen an, aber das macht nichts, denn sie finden was viel Besseres: ein schönes Häuschen im Wald, das sie einer Räuberbande mit gezieltem Terror abluchsen. Indem sie sich – der Esel unten, dann der Hund, darauf die Katze und oben der Hahn – zu einer großen Gestalt aufrichten, jagen sie den Räubern eine Heidenangst ein und vertreiben sie aus dem Häuschen im Wald. Die Bremer Stadtmusikanten führen eine Parodie des bösen Monsters auf, und die Räuber fallen darauf herein.

Dieses wunderbare Märchen klärt uns darüber auf, dass das Gefährliche nicht so sehr jenseits des bekannten Lebens beginnt, sondern bereits hier und jetzt, genau hier, wo wir es uns in unserem Leben so gut eingerichtet haben. Wir projizieren unsere Ängste und Nöte gerne in „die böse Welt da draußen“ und kaschieren damit die untergründige Nähe und Gegenwart all des Gefesselten und Eingefrorenen in uns. In diesem Zustand sind wir wie die Räuber im Wald: wir sehen Gespenster, wo keine sind.

Wir halten an unseren Sicherheiten fest und spüren gar nicht mehr, wie sie uns einengen und die Luft zum Atmen rauben. Wir erfinden die Monster im Eis, die bösen Außerirdischen und die Terroristen, weil wir Angst haben, aber nicht zugeben wollen, dass es unser eigenes Leben ist, das uns Angst macht – dass wir selbst es sind, die uns erschrecken.

Etwas über Konflikte

Juni 1st, 2012

Der Konflikt zwischen Ich und Körper

Manche Menschen betrachten sich als friedfertige und harmonische Zeitgenossen. Ich und Konflikte? Ich lasse doch (meistens) allen ihren Frieden! Doch wir Menschen kommen um den Konflikt nicht herum. Und auch wenn wir uns in unserem Alltagsleben oftmals versöhnlich, gesprächsbereit und einverstanden zeigen, schlummert doch in uns Konfliktpotenzial.

Fangen wir also doch gleich bei uns selbst an: Wir leben in unserem Körper und gehen mit ihm um. Stellen wir uns einmal die Situation wie eine Teamarbeit vor: Ich, der Denker, und der Körper sind aufeinander angewiesen. Sie arbeiten zusammen. Wie arbeiten sie zusammen? Wie gehe ich mit meinem Körper um?

Sicher, manchmal wissen wir nicht, wie wir besser mit dem Körper umgehen können. Es fehlt das Wissen. Doch oft genug wissen wir durchaus, wie wir mit unserem Körper besser umgehen könnten und dennoch werden wir nicht aktiv. Verspannungen, Druck, Müdigkeit und Erschöpfung sind die Folge. Warum übergehen wir körperliche Signale so oft?

Betrachten wir einmal körperliche Belastungszeichen und Bewegungsprobleme als einen Konfliktfall, als ungelöste Interessenkollision. Lautet F. Glasl, einem bekannten Konflitkforscher, definiert sich ein Konflikt so: Ein Konflikt ist eine Interaktion, bei der es Unvereinbarkeiten gibt, die für mindestens einen Beteiligten eine Beeinträchtigung bedeuten.

So können wir sagen, dass es auch zwischen Ich und Körper manchmal Unvereinbarkeiten gibt. Ich will schnell fertig werden – der Körper ist müde. Oder: Der Körper ist voller Energie – ich will geduldig zuhören. Und dann kommt es zu Beeinträchitgungen. Ich will schnell fertig werden und überanstrenge den Körper. Oder ich will geduldig zuhören und fixiere meine Muskeln, um nicht meinen Bewegungsdrang zu spüren. Die Beeinträchtigung kommt irgendwo zum Vorschein und einer zieht den Kürzeren.

Nun geht die Konfliktgeschichte aber weiter. Denn erst wird der Konflikt nicht als solcher anerkannt, sondern erst einmal verschleppt, und zwar durch Strategien, die den Konflikt nur scheinbar lösen, in Wahrheit aber fixieren. Auf Seiten des Ich, das die Körperbedürfnisse übergeht, gibt es u. a. diese konfliktfixierenden Strategien:

  • Ignorieren: „Ach man soll sich nicht so wichtig nehmen.“
  • Abwerten: „Ich hab eben schlechte Gelenke.“
  • Symptomorientiertes Korrigieren: „Die Schulter sollte nach hinten gehen.“

Und wie reagiert der Körper? Er ist unglücklich über diese Behandlung und stört den Betrieb z. B. durch:

  • Rückzug, d. h. die Wahrnehmungsfähigkeit nimmt ab
  • Symptomverlagerung
  • Verstärkung der Störung

Der Irrtum hinter diesem eskalierenden Konflikt liegt in der Vorstellung, dass Körper und Ich unvereinbar gegensätzliche Interessen haben: „Wenn ich auf den Körper achten würde, dann könnte ich nicht das Leben leben, wie ich es will.“ Dieses Denken ist weit verbreitet. Viele wünschen sich einen „automatisierten Körperbetrieb“: der Körper soll von selbst gut funktionieren, ohne dass das Ich etwas dazu tun soll. Man empfindet es als Zumutung, sich bewusst mit dem Körper zu befassen.

Bedürfnisse anerkennen

Doch diese Sicht ist kurzsichtig. Wenn sich das Ich gegen den Körper durchsetzt, schadet sich das Ich selbst. Ich und Körper sitzen im selben Boot. Wir brauchen einen offenen Blick für alle Bedürfnisse des Selbst. Körper und Ich sollen miteinander arbeiten, nicht gegeneinander.

Ich-Bedürfnisse sind solche Bedürfnisse, die vom Ich-Bewusstsein gebilligt und anerkannt werden, z. B. Bedürfnisse nach Anerkennung oder Sicherheit. Körper-Bedürfnisse sind solche Bedürfnisse, die in Verbindung mit dem Funktionieren und Wohl des Körpers und seiner Systeme stehen, also z. B. Raum, Nahrung, Koordination.

Manche Körper-Bedürfnisse werden vom Ich nicht anerkannt und dann entsteht ein Konflikt. Es ist z. B. so, als würde man sich sagen: „Ich sehe nicht ein, dass mein Körper gerade Beweglichkeit braucht und keinen Zwang verträgt.“ Dabei hat das Ich „gute Gründe“. Wir sagen uns zum Beispiel: „Ich muss unbedingt schnell fertig werden mit dieser Arbeit, dafür bekomme ich Anerkennung, und wenn ich es nicht schaffe, dann ernte ich Kritik.“ So werden Ich-Bedürfnisse auf dem „Rücken des Körpers“ ausgetragen.

Wir werden miteinander aktiv

Wenn wir den Konflikt auflösen wollen, müssen wir diesen Gedanken in Frage stellen: „Entweder muss ich gegen den Körper handeln, um Ich-Bedürfnisse zu befriedigen, oder ich handele gegen Ich-Bedürfnisse, um dem Körper gerecht zu werden.“ Dieses Entweder-Oder ist der fixierte Konflikt. Konfliktlösendes Denken zielt darauf ab, alle Bedürfnisse und Interessen in den Blick zu nehmen: Das Ich und seine Bedürfnisse sowie den Körper und seine Bedürfnisse. Konfliktlösendes Denken fragt, wie sich diese Bedürfnisse gleichzeitig berücksichtigen lassen.

In der Alexander-Technik finden wir ein Konzept , das einen perfekten Interessenausgleich zwischen Ich und Körper definiert. Einfach gesagt, lautet dieses Konzept so: „Wenn du etwas willst, halt inne und überlege, wie du es erreichen kannst. Nutze dabei den Körper als das Instrument deines Handelns. Dann hilft er dir, das, was dir wichtig ist, zu verwirklichen.“ So einfach dies klingt – in der Praxis verhalten wir uns oft anders. Wir nehmen körperliche Nebenwirkungen für unsere großen Ich-Ziele in Kauf.

Doch zum Glück gibt es einen Ausweg: wir können innehalten und lernen, anders zu denken.

Seminar „Komm auf den Punkt!“ am 12.11.11

November 14th, 2011

Auf den Punkt kommen – das ist ein schönes Ideal. Jeder möchte gerne „treffende Worte“ und „Sätze, die sitzen“ sagen. Leider führt der Weg zur wirkungsvollen Bündigkeit über eine gewisse innere „Ausschweifung“. Gemeint ist damit ein offenes Spiel der Gedanken und Gefühle, die in aller privaten Ehrlichkeit den Sprechenden über sich selbst aufklären und die spätere Wahl der Worte vorbereiten. Je mehr Sie über sich und Ihre Einstellung zu einem Sachverhalt wissen, desto wirkungsvoller können Sie später auch ein paar Dinge nicht sagen.

Kurz und knapp kann nur der sein, der bereit ist, die Verwicklungen, Feinheiten und Widersprüche in sich wahrzunehmen und sich auch mal der Qual der Wort-Wahl auszusetzen. Lassen Sie sich also ruhig Zeit mit der Präzision. Das gilt besonders für schwierige Kommunikationssituationen, wenn Missverständnisse durch die Luft schwirren und Spannungen mit Händen greifbar werden.

Also erst Herz öffnen und dem Verstand Auslauf geben – und erst dann auf den Punkt kommen! Alles klar?

Gefühle in Bewegung (6): Gefühle zulassen, ohne sich mitreißen zu lassen

Oktober 3rd, 2011

Wann haben Sie zum letzten Mal hemmungslos herumgealbert? Ich hoffe, es ist nicht allzu lange her. Das Schöne an der Ausgelassenheit ist, dass wir etwas tun, bevor wir es verstehen können. Es macht Spaß, sich so gehen zu lassen. Wenn Gefühle jedoch unser Leben schwer machen – Sorgen, Ängste, Zweifel, Schuldgefühle etc. -, kann es sehr nützlich sein, sich nicht sofort mit den Gefühlen gehen zu lassen.

Ich möchte Ihnen nun einen abgestuften Umgang mit Gefühlen vorschlagen. Dieser Prozess beachtet die natürliche Wildheit und Eigenwilligkeit von Gefühlen. Es geht also nicht darum, Gefühle zu „beherrschen“. Andererseits wollen wir schauen, ob es nicht Wege gibt, die Information und die Energie, die in ihnen steckt, zu nutzen, ohne uns von ihnen blind mitreißen zu lassen.

Das Erste, was wir mit Gefühlen „machen“ können, ist sie zu bemerken und zu beachten – in ihrer fühlbaren Qualität, in ihrem Verlauf und in ihrer Richtung. Wir müssen sie nicht sofort verstehen – sie zu erleben ist zunächst das, was zählt.

Doch präsentiert sich uns hier gleich eine gewaltige Schwierigkeit: die schon beschriebene Schnelligkeit und Intensität der Gefühle, die uns zur Aktion drängt. Wir kennen das alle: binnen Sekunden sind wir geladen, tief enttäuscht oder begeistert. Sofort wollen wir die dazu passende Handlung ausführen: den Teller auf den Fußboden schmeißen, uns verkriechen oder jemanden stürmisch umarmen. Wir wollen schließlich irgendwo hin mit unserer Energie!

Es ist klar, dass wir, wenn wir das zulassen, keine Chance haben, die unserem Gefühl zugrundeliegende Bewertung der Situation zu prüfen. Es geht einfach zu schnell. Zeit ist aber, was wir brauchen, um unser Gefühl bewusst zu erleben und zu verstehen. Manche Gefühle übertragen wir aus der Vergangenheit in die Gegenwart, ohne genau darauf zu achten, ob diese emotionsgelandene Gleichung auch aufgeht. Früher mögen diese Gefühle angemessen gewesen sein – heute können sie irreführend sein. Denken Sie daran, wie Sie auf Kritik reagieren, wie Sie mit Erfolgen umgehen, welche Ansprüche Sie an sich stellen, wie Sie sachlich-distanzierten oder überschwänglichen Menschen begegnen. Ihre „normale“ Art zu reagieren, hat möglicherweise mit der aktuellen Situation wenig zu tun, und dann ist es gut, wenn Sie zu Ihren Gefühlen Distanz aufbauen können.

Wie können wir diese Zeit gewinnen und wie können wir die Wildheit der Gefühle zähmen, ohne sie zu unterdrücken? Können Gefühle warten, bis der Verstand Zeit bekommen hat, sie zu analysieren und zu bewerten? Hier kommt wieder Ihr Bewegungssinn ins Spiel. Sie können zwar nicht verhindern, dass in einer konkreten Situation ein bestimmtes Gefühl plötzlich auftaucht. Das emotionale Ereignis geschieht ohne Ihr bewusstes Zutun. Aber wie Sie dann mit sich und dem Gefühl umgehen, lässt sich sehr wohl steuern.

Die Idee: Lassen Sie die spontane Bewegung des Erlebens zu, aber schieben Sie jegliche Handlungsbewegung auf. Sagen Sie Ihren Muskeln, dass Sie jetzt erstmal nichts zu tun haben, wie wenn Sie an einer roten Ampel stehen und sich auf eine kleine Wartezeit einrichten. Sorgen Sie während dieses Prozesses dafür, dass Ihr ganzer Körper beweglich ist, denn während Sie Ihr Gefühl erleben, ohne direkt zu handeln, flutet eine Menge neuer Informationen durch Ihr Bewusstsein und die Körperpräsenz hilft Ihnen, diesen Stress zu verkraften. So könnten Sie zum Beispiel, wenn Sie im ersten Ansturm eines wütenden Gefühls sofort etwas unternehmen wollen, innehalten und das Gefühle „durchrauschen“ lassen. Alle möglichen Stimmen melden sich in Ihnen – solche, die die Wut rechtfertigen, vielleicht aber auch andere, die eine andere Sicht vermitteln.

Kommen Sie dann mit sich ins Gespräch und versuchen Sie herauszufinden, welche Bedeutung das hat, was Sie da wahrgenommen haben. Geben Sie Ihrem Körper und damit auch der emotionalen Raum immer wieder Raum. Gefühle können nicht verstanden werden, bevor Sie gefühlt und erlebt werden. Gefühle klarer zu erleben, heißt jedoch nicht, sie direkt auszuleben. Benutzen Sie auch Ihr Denken, klären Sie, ob Ihre Wahrnehmung wirklich der Realität entspricht. Wenn Sie finden, dass Ihr Ärger gerechtfertigt ist, können Sie ihn immer noch ausdrücken, aber möglicherweise wird Ihnen klar, dass die aktuelle Situation doch ein wenig anders gelagert ist, als es Ihren Gefühlen im ersten Moment erschien.

Dieser ganze Prozess darf nicht erzwungen werden, sondern erfodert dynamische Präsenz und  energievolle Gelassenheit. Die Fähigkeit zum gelassenen Abwarten lässt sich erlernen. Je besser Sie die Dynamik Ihrer Muskeln kennenlernen, desto leichter wird es Ihnen fallen, auch in hochemotionalen Situationen nicht den Kopf zu verlieren, sondern mit Ihren Gefühlen zu kommunizieren, statt ihnen blind zu folgen.

In Heines Gedicht heißt es am Schluss:

 

Den Schiffer im kleinen Schiffe

Ergreift es mit wildem Weh;

Er schaut nicht die Felsenriffe,

Er schaut nur hinauf in die Höh.

 

Ich glaube, die Wellen verschlingen

Am Ende Schiffer und Kahn;

Und das hat mit ihrem Singen

Die Lore-Ley getan.

Sie sehen, Gefühle können uns an der Nase herumführen. Es ist wichtig, sie zu bewusst zu erleben und sie als Informationsquelle zu nutzen, dabei aber den Kopf nicht zu verlieren. Unser Selbst funktioniert als Ganzes, emotionale Erfahrungen sind immer mit körperlichen Erfahrungen verbunden. Deswegen können ungünstige Bewegungsmuster unsere Fähigkeit einschränken, unser Denken konstruktiv einzuschalten, wenn wir von starken Gefühlen beeinflusst werden.

Ich glaube, es ist eine gute Idee, wenn wir anfangen, der Bewegung des Lebens in uns in all seinen Formen noch mehr zu vertrauen. Denn erst dann haben wir eine echte Chance, die Richtung, in die sie uns trägt, mitzubestimmen.

 (Ende der Serie)

Gefühle in Bewegung (5): Gefühle sind Muskelarbeit

Oktober 2nd, 2011

Ich möchte nun einige konkrete emotionale Wirkungen zeigen, die zu erwarten sind, wenn sich die Bewegungskompetenz in eine bestimmte Richtung verbessert. Diese Wirkungen beruhen auf meinen persönlichen und beruflichen Erfahrungswerten als Alexander-Technik-Coach und sind selbstverständlich nicht für jeden genau gleich. Außerdem hat die Verbesserung des Bewegungsverhaltens die Tendenz, jene Gefühle zuerst zu Bewusstsein kommen zu lassen, deren muskuläre „Knebelung“ jüngeren Datums ist, während länger bestehende Fehlspannungen meist langsamer „auftauen“. So erleben Menschen, die etwa in ihrem beruflichen Alltag stark gestresst sind, durch eine Regulierung ihres Muskeltonus mal ein Gefühl der Leichtigkeit oder der Schwere, mal ein Gefühl der Energie oder der Müdigkeit, je nachdem, welches Bedürfnis den dringendsten Nachholbedarf hat.

In all dem, was ich jetzt beschreibe, geht es nicht darum, Gefühle durch Bewegungen zu provozieren, sondern durch Bewegung im ganzen Körper günstige Rahmenbedingungen für den emotionalen Prozess zu schaffen. Gefühle kommen von selbst – wenn wir sie nicht stören.

Knochen machen sicher: Wenn eine Person sich die unterstüztende Kraft ihrer Knochen vergegenwärtigt, dann erlebt sie meist ein Gefühl der Stabilität und damit der Sicherheit und Erdverbundenheit. Dies kann besonders in Stress-Situationen eine willkommene Unterstüzung sein.

Gelenke machen leicht und lustig: Wenn man sich die Dynamik der Gelenke bewusst macht und ihr in seinen Bewegungen folgt, dann tauchen fast von selbst Empfindungen der Leichtigkeit, der Freiheit und Wendigkeit, ja der Verspieltheit und Freude auf. Dies hebt nicht nur die Lebenslust, sondern ist in Situationen besonders hilfreich, in denen Sie viel Kreativität und mentale Beweglichkeit brauchen.

Muskeln machen gelassen und kraftvoll: Das Bewusstsein für die wechselnde Spannung der Muskeln erzeugt oft ein Erleben von Gelassenheit, zugleich aber auch von Macht und Wirksamkeit. Dabei ist aber notwendig, die Muskeln nicht nur in ihrer Fähigkeit zur Anspannung anzusprechen, sondern auch zur Entspannung. Besonders wenn wir arbeiten oder sonst aktiv sind, ist es für unsere Ausgeglichenheit und innere Ruhe entscheidend, dass unsere Muskeln nicht nur Macher sind, sondern auch mal abwarten und Spannung abbauen können.

Gehen wir nun einen Schritt weiter. Bewegung entsteht ja nicht aus dem zufällig gleichzeitigen Wirken vereinzelter Teile, sondern aus einem koordinierten Zusammenspiel. Unser Körper ist wie ein Orchester, das aus verschiedenen Instrumenten besteht, die von einem Dirigenten – unserem Denken – gelenkt werden. Dabei spielen die verschiedenen Körperteile eine besondere Rolle.

Der Kopf sitzt oben auf und ist der Souverän, von dem die Selbstbehauptung ausgeht. Hier ist ein wichtiges Wahrnehmungs- und Kommunikationszentrum. Der Kopf balanciert in bester Lage mit Weitblick und Umsicht, er ist wesentlich für unser Gleichgewicht und unsere Orientierung im Raum.

Die Wirbelsäule ist die strukturierende Achse, die uns trägt und einen Organraum schafft, in dem die weichen Organe Platz und Halt finden. Sie ist zugleich eine Kommunikationspipeline, die alle Botschaften vom Gehirn zur Peripherie und auch wieder zurück leitet.  Der Rumpf ist ein großer Organraum, mit einer Besonderheit im oberen Teil, dem Brustkorb. Er schützt nicht nur Herz und Lungen, sondern sorgt mit den ryhthmischen Bewegungen der Rippen für die Grunddynamik der Atembewegung – eine elegante Lösung, wenn man bedenkt, dass die Atmung sensibel auf bewegungsbedingte Veränderungen im Sauerstoffbedarf  reagieren muss.

Die Beine und Füße dienen der beweglichen Unterstützung und der Fortbewegung. Der Körper balanciert auf relativer kleiner Grundfläche, was ihm das Gehen erleichtert, denn das Körpergewicht kann leicht als Bewegungsmotor eingesetzt werden. Im aufrechten Stand ist alles, was wir zu tun haben, um von der Stelle zu kommen, loszulassen und schon setzt sich der Körper in Bewegung. Schultern, Arme und Hände haben keine direkte Fortbewegungsfunktion und genießen deswegen alle Freiheit, Kontakt mit Gegenständen und Menschen aufzunehmen, zu spüren, zu tasten, zu gestalten und formen.

Diese funktionellen Bewegungsregionen sind für unsere Gefühle von Bedeutung. Becken, Beine und Füße vermitteln Stabilität und damit Sicherheit. Die Arme und Hände geben uns eine Gefühl von Freiheit und Gestaltungskraft. Es ist ein gutes Gefühl, „freie Hand“ zu haben. Wer zuviel Last auf den Schultern trägt, fühlt sich gedrückt. Der Kopf hoch oben vermittelt Präsenz und Souveränität. Zusammen mit der Wirbelsäule erschließt der Kopf uns Selbstbewusstsein und Stärke. Wer mit seinem  Atem im Kontakt ist, erlebt seine Gefühle differenzierter und tiefer. Wer seine Augen fließend bewegt und den besonders in Stress-Situationen so typischen „starren Blick“ vermeidet, der erlebt eine gesunde Distanz zum Geschehen und zum eigenen Handeln.

All diese speziellen Wirkungen beruhen darauf, dass wir im Körperganzen gut koordiniert sind. Die Aufmerksamkeit für das dynamische Zusammenspiel der Körperteile und ihre effizienten Steuerung erzeugt ein Erleben von guter Kontrolle, Sammlung und Klarheit. Man fühlt sich ausgeglichen, aufgeräumt und handlungsbereit.

Aufs Ganze gesehen, vermittelt uns gute Bewegung eine grundlegende Erfahrung, die auch für unser Gefühlsleben wichtig ist. Ich spreche von der Erfahrung, dass ein Mensch sich den Raum nehmen kann, den er braucht. Jeder Mensch braucht Raum für sich und sein Denken und Handeln. Wir müssen „aufgehen“ können in dem, was wir tun. Wir müssen uns ungehindert „gehen lassen“ dürfen. Jeder Prozess der Entwicklung und Entfaltung sowohl körperlich als auch geistig setzt raumgreifende Bewegungen voraus. Angst ist mit einem Zusammenziehen und Verengen des Körpers verbunden, Vertrauen hingegen mit einer Ausdehung des Körpers in den Raum hinein. Wer Ängste überwinden will, wird es deswegen wertvoll finden, sich in seinen Bewegungen ausreichend Raum zu geben.